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Allgemeine Psychologie II - Motivation und Emotion

Temperamentvolle Gummibärchen

Temperamentvolle Gummibärchen oder warum man sich vor gelben Gummibärchen in Acht nehmen soll

 

Andreas B. Eder und Silke Hamm-Eder, 2004

 

In der neueren Gummibärenforschung (siehe Musch, 1997, für einen Überblick) wurde wiederholt die Frage diskutiert, welche Bedeutung der Farbigkeit des Gummibärchens (Ursulinus elasticus) zukommt. So ist die ursprüngliche Auffassung von Kavsek (1996), die Farbe der Gummibären wäre ein „evolutionärer Fehler“ (S. 2) und somit evolutionsbiologisch sinnlos, mittlerweile massiver Kritik ausgesetzt. Wegener (1996) konstatierte in seinem wahrnehmungpsychologischen Experiment eine erschwerte Identifikation von tütenfarbigen Bären relativ zu einer künstlich eingefärbten Kontrollgruppe. Dieses Ergebnis wurde in Richtung eines „Tarnwerts“ der Farben interpretiert. Eine ähnliche funktionale Analyse der Gummibärchenfarbigkeit führte Jusko (1996) durch, indem er der Farbe diagnostischen Wert für die Befindlichkeit der Bärchen zuweist und so eine Ausdrucksfunktion unterstellt. Einer den Umweltgegebenheiten wechselnde Signalfunktion der Farbe widerspricht hingegen die Arbeit von U. von Roman (2002), der in seinen gentechnischen Experimenten eine genetische Verankerung der Farbe feststellte (siehe hierzu auch die sog. Mausburg-These).[1] Diese Vererblichkeit der Gummibären-Farbe betont vielmehr einen möglichen evolutionären Sinn der Farbvarianz bei Gummibären, da dieses Merkmal wie andere Merkmale auch die natürlichen Selektion überstehen musste. Aber worin könnte dieser Sinn bestehen?

Die Gummibären-Typologie

Wir vertreten hier die revolutionäre These, dass der unterschiedliche Farbtyp der Gummi­bärchen mit deren Temperament korreliert, das wiederum auf unterschiedliche Körpersäfte zurückgeht. Diese „Typologie“ wurde bereits vom griechischen Arzt Hippokrates (469-399 v.Chr.) formuliert und in moderne Persönlichkeitstheorien neu aufgegriffen (e.g. Eysenck, 1975; Kretschmer, 1931/1955). Die antike Typenlehre nach Hippokrate beinhaltet eine Lehre von inneren Säften im menschlichen Körper: die gelbe Galle (cholos), die schwarze Galle (melas cholos), das Blut (lat. sanguis) und den Schleim (phlegma) als die vier Hauptsäfte. Daraus wurden vier Temperamente abgeleitet:

  • (1) Rotes Blut → Sanguiniker (der Lebensfreudige/Schwungvolle),
  • (2) Gelbe Galle → Choleriker (der Reizbare),
  • (3) Schwarze Galle → Melancholiker (der Trauernde) und
  • (4) Grüner Schleim → Phlegmatiker (der Langsame/Gemütliche).

Je nach Mischung der Körpersäfte ergeben sich somit unterschiedliche Temperamente (lat. tempare, mischen). Überwiegt ein Körpersaft, so setzt sich der zugeordnete Temperamentstyp durch.

Obwohl die Typologie von Hippokrates in der Humanpsychologie vor allem wegen des Mangels an „reinen“ Typen nur mehr von historischem Interesse ist, glauben wir, dass Sie die Farbvarianz und an ihr gebundene Persönlichkeitsvarianz bei Gummibärchen erstaunlich gut erklären kann. Von Gummibären sind sechs Farben bekannt: rot, orange, gelb, grün, weiß und blau. Die Farbe stammt von löslich organischen Farbstoffen (von Roman, 2001), deren genetisch gesteuerte Produktion in verschiedenen Körperorganen bewerkstelligt wird. Um welche Organe es sich dabei im genauen handelt, wissen wir nicht genau; wir vermuten jedoch, dass die Gelatine produzierenden Organe hier eine Hauptrolle spielen dürften, da sich die Farbstoffe hauptsächlich im Gelatinesekret festsetzen. Diese Gelatinefarben kann man somit durchaus in Analogie zu den menschlichen Körpersäften setzen. Folgende Zuordnungen von Gelatinesäften zu Temperamentstypen haben unsere Forschungen ergeben:

  • Rote Gummibärchen → Sanguiniker: vergnügt und lebensfroh;
  • Gelbe Gummibärchen → Choleriker: gereizt und aggressiv;
  • Grüne Gummibärchen → Phlegmatiker: träge und gemächlich;
  • Orange Gummibärchen → Mischtyp aus Sanguiniker und Choleriker: wankelmütig und unentschieden;
  • Blaue Gummibächen → Melancholiker: traurig und zurückgezogen;
  • Weiße Gummibärchen → Mischung aus allen Farben: soziales Chamäleon;

Das Temperament der Gummibärchen ist demnach endokrin bestimmt und aufgrund der genetischen Determinante sehr stabil über das Gummibärenalter hinweg.

Die Tütenverteilung - eine Häufigkeitsanalyse

Sollten sich verschieden farbige Gummibären tatsächlich systematisch in ihren Temperaments­zügen unterscheiden, so müsste diese Variation auch Auswirkungen auf die Zusammensetzung von Gummibären-Gruppen haben, die – wie bei ihren menschlichen Zeitgenossen - zu einem großen Teil vom Temperament der einzelnen Gruppenmitglieder bestimmt wird. Als Forschungsmethode bietet sich dementsprechend eine empirische Analyse von Tütenverteilungen hinsichtlich der Gummibärenfarbe an. Das deskriptive Ergebnis einer Auszählung von zwei Goldbären-Tüten (N= 164) ist in Tabelle 1 zu finden.

Tabelle 1: Häufigkeiten von Gummibärchen in zwei Tüten aufgeschlüsselt nach ihrer Farbe

FarbeTüte 1Tüte 2Summe
rot293261 (37,2 %)
grün211435 (21,3 %)
orange111627 (16,5 %)
weiß111122 (13,4 %)
gelb10919 (11,6 %)
Summe8282164

Unter den Gummibärentypen sind die sanguinisch vergnügten roten Gummibärchen sicherlich die angenehmsten Tütengenossen. Dementsprechend sollten sie die beliebtesten Gummibären sein, und das auch bei den weiblichen Gummibärchen. Dies lässt eine Überrepräsentation von roten Gummibärchen in Tütenpopulationen erwarten, wie sie empirisch auch tatsächlich zutrifft (siehe Tab. 1). So stellen sie mit 37,2 % die weitaus größte Bärengruppe in unserer Stichprobe. Leider hat ihre Beliebtheit aber seinen Preis, denn sie schlägt sich auch in der Fressgier ihrer menschlichen Jäger nieder. So löste der Anblick von roten Gummibären bei menschlichen Testpersonen (N= 12) einen signifikant stärkeren Speichelfluss aus als der Anblick andersfarbiger Bärchen. Auch hier zeigt sich also die selbstregulierende Kraft der Natur, die einer explosionsartige Vermehrung von roten Gummibärchen zu verhindern weiß.

Am zweithäufigsten sind die phlegmatischen grünen Gummibären (21,3 %) in Goldbären-Tüten vertreten. Dies mag den unkundigen Beobachter überraschen, da eine phlegmatische Lebensweise dem Sexualleben und damit der Fortpflanzung sicher nicht zuträglich ist. Andrerseits führt eine ruhige, gemächliche Lebensweise aber auch zu einem höheren Lebensalter, wie viele Schildkrötenarten eindringlich demonstrieren. Folglich ist die hohe Zahl phlegmatischer Gummibären nicht sehr überraschend, da sie viele ihrer Tütengenossen überleben. Für den Menschen hat diese Erkenntnis übrigens auch einen praktischen Nebennutzen; denn sollte das Verbrauchsdatum einer Goldbären-Tüte wider Erwarten einmal überschritten sein, so empfiehlt es sich, sich vornehmlich auf grüne Gummiopfer zu stürzen, da diese selbst im hohen Alter noch vergleichsweise „frisch“ sein dürften.[2]

Orange Gummibärchen finden sich in unserer Tütenstatistik mit 16,5 % dort wieder, wo sie auch hinsichtlich ihrem Temperament anzutreffen sind: in der Mitte. Als Hybride zwischen gegensätzlichen roten (sanguinischen) und gelben (cholerischen) Artgenossen sind sie unentschieden in allen Lebenslagen. Dieses lagerfreie Dasein hat jedoch auch seine Vorteile, vor allem, wenn es um soziale Beziehungen geht. Denn zu ihnen findet jede Bärchengruppe Anknüpfungspunkte, ist doch von den „Oranjes“ nicht gerade viel Widerspruch in Entscheidungsfragen zu erwarten.

Eine Sonderstellung in der Gummibärentypologie nehmen die weißen Gummibärchen ein, deren weiße Farbe im Grunde genommen eine Mischung aus allen Farben darstellt. Dieses „Mischmasch“ schlägt sich auch im Temperament der weißen Gummibären nieder. Als soziales Chamäleon wechseln diese Tütengenossen ihre charakterlichen Grundwerte in fast beliebiger und meist zweckdienlicher Manier und sind damit im wahrsten Sinne des Wortes „farblos“. Ihre Farblosigkeit spiegelt sich mit einem Bevölkerungsanteil von 13,6 % auch in der Tütenverteilung wieder.

Am seltensten sind gelbe Gummibärchen in Goldbären-Tüten anzutreffen (11,6 %). Dieser Umstand ist angesichts ihrer cholerischen Natur nicht weiter verwunderlich. Gelbe Gummibärchen sind leicht reizbar, aggressiv, und nicht selten gewalttätig. Ihnen gehen alle andersfarbigen Gummibären aus dem Weg, gehen doch 81,5 % aller Gewaltverbrechen auf ihr Konto. Tätliche Übergriffe auf Menschen sind uns bis jetzt nicht bekannt; in Hinblick auf das Gewaltpotenzial, das in cholerischen Gummibären schlummert, geben wir jedoch den Ratschlag, gelben Gummibärchen vorsichtshalber aus den Weg zu gehen. Oder wollen Sie der Erste sein, den ein cholerisches Gummibärchen auf dem Gewissen hat?

Eine interessante theoretische Implikation ergibt sich zudem hinsichtlich den blauen Gummibärchen, die mittlerweile als ausgestorben gelten. So sind Melancholiker sehr anfällig für depressive Verstimmungen, die wiederum mit einem erhöhten Suizidrisiko einhergehen. Folglich ist es sehr wahrscheinlich, dass viele blaue Gummibärchen in ihrer Verzweiflung den Freitod wählten, indem sie sich beispielsweise ihren menschlichen Fressfeinden besonders forsch anboten. Zudem treten mit einer Depression oft schwerwiegende körperliche Krankheiten auf, die zu einer zusätzlichen Dezimierung der blauen Gummibärchen geführt haben könnten.[3] Angesichts dieser lebensbedrohlichen Konsequenzen des melancholischen Typus erscheint uns das Aussterben der blauen Gummibärchen – so tragisch dies sein mag – durchaus plausibel.

Die Goldbären

Neben den fünf Haupttypen der (noch lebenden) Gummibären gibt es noch einen sechsten Gummibärentyp, der einen Idealtypus des Gummibärchens repräsentiert: den Goldbären. Der Goldbär stellt all das dar, was ein jedes Gummibärchen einmal erreichen will. Goldbären sind in sich stimmig und leben in Harmonie mit ihrer Umwelt. Sie haben nicht nur ein goldiges Aussehen, sondern auch ein „goldenes Händchen“ bei allem, was sie beginnen, und sie verdienen sich ein „goldenes Näschen“ an der Vermarktung ihres Images (z.B. an der „Goldbärentüte“ von Haribo). In diesem Zusammenhang kann es wohl kein Zufall mehr sein, dass der römische Arzt Galen (129-199 n.Chr.) in seiner Weiterentwicklung der Typologie von Hippokrates das Konzept der „goldenen Mitte“ formulierte. Demnach ergibt sich das optimale Temperament aus einer Mischung, bei der alle Körpersäfte im Gleichgewicht stehen und keiner überwiegt. Der goldene Weg zum Glück liegt folglich für alle Gummibärchen in der Harmonie ihrer Gelatinesäfte. Denn auch für die Gummibärchen gilt: Die richtige Mischung macht’s!

Literaturverzeichnis:

  • Eysenck, H. J. (1975). The inequality of man. San Diego, CA: Edits Publishers.
  • Kretschmer, E. (1931/1955). Körperbau und Charakter (21./22. Aufl.). Berlin: Springer.
  • Reifert, J. (1998). Prävalenz von Herzinfarkt bei Gummibären. Zeitschrift für Notfallmedizin, 155,1432-1438.

[1] Wir möchten in uns ausdrücklich von gentechnischen Experimenten jeglicher Art an lebenden Gummibären distanzieren, und verweisen hierzu auf das EU-Verbot von gentechnischen Experimenten mit Gummibären, das allerdings zeitlich erst nach der Arbeit von U. von Roman (2002) in Kraft gesetzt wurde.

[2] Dieser Verzehrungshinweis sollte hier nicht als Aufforderung zum Genozid an grünen Gummibärchen dienen, sondern lediglich zum Verständnis des Jagdverhaltens des „Homo sapiens sapiens“ beitragen.

[3] Ein erhöhtes Herzinfarkt-Risiko wurde auch für cholerische Typ A-Gummibärchen dokumentiert (Reifert, 1998).